By, by Indien.

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Nov 192014
 
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Indien – hoher Anspruch, viel Widerspruch.

563.  Reisetag

17.041 km

 

Die letzten 60 Kilometer in Indien liegen vor mir. Der Wind weht mir heftiger als an den Vortagen entgegen. Das Radeln strengt an. Es ist Sonntag, der Verkehr auf dem Highway hält sich in Grenzen. Ich nähere mich der viertgrößten Stadt Indiens mit ca. 8 Mill. Einwohnern – Chennai. Der Verkehr nimmt deutlich zu. Die letzten 30 km durchfahre ich städtische Vororte.
Da die Stadt groß und unübersichtlich ist habe ich mir eine Unterkunft gebucht um einen Anfahrtspunkt zu haben. Ein eindeutiges Stadtzentrum habe ich nicht ausmachen können. Das Hotel befindet sich der Karte nach im inneren Bereich nahe der historischen Altstadt. Stelle bei meiner Ankunft aber fest, es liegt in einem mittelmäßigen Hotelviertel ohne besonderen Reiz. Die Unterkunft ist ok, nur es gibt viele Mücken in meinem Zimmer und nicht nur hier.

Hinter den Hotels ist ein Lederviertel. Berge von unbearbeitetem Leder liegen in kleinen und großen Läden. Sie werden abtransportiert und geliefert. Einige Geschäfte bieten die Produkte daraus an. Nie sehe ich Kunden darin.
Daneben einige enge vollgestellte Straßen mit kleinen Hütten in denen Menschen leben. Es wird auf der Straße gekocht, gewaschen, gesessen und wohl oft auch draußen geschlafen. Viele Kinder laufen herum. Müllhaufen liegen am Rande, aus denen noch die letzten Plastikreste herausgeklaubt werden um einige Rupien zu erhalten. Eine indische Großstadt beherbergt viel Armut.

Ich habe in den nächsten zwei Tagen einiges zu erledigen. Meine im Iran verlorengegangene Zahnfüllung lasse ich erneuern. In einer großen modern ausgestatteten Praxis arbeiten diverse Zahnärzte. Ohne lange Wartezeit werde ich behandelt. Mein Fahrrad mache ich flugtauglich, indem ich Pedale und Lenker verdrehe und einen aufgeschnittenen Karton über Sattel und Lenkstange binde. Im Flughafen lasse ich das gesamte Rad später mit Folie umwickeln. Hat bei den letzten Flügen gut funktioniert.

Mein Stadtbesichtigungsprogramm ist bescheiden. Ich lasse mich mit dem Tuk-Tuk in das Altstadtviertel fahren. Es gibt auch Fahrradrikschas. Ich bringe es aber nicht fertig mich von einem alten Mann mit schwerfälligem Rad transportieren zu lassen obwohl ich weiß, dass ist seine Arbeit.

Auch hier wird in den schmalen verwinkelten Straßen ausschließlich ein Handelsgut verkauft, wie in den alten Zeiten. Es gibt die Blumen-, Papierwaren-, Feuerwerksgasse usw. In manchen herrscht ein Gedränge von Menschen, dazwischen fahren die Mopeds und Rikschas versuchen sich hindurch zu schlängeln. Zusätzlich lungern Kühe herum. Beim Gehen mit Blick nach vorne trete ich in die Mitte eines frischen Kuhfladen.

Fotos gibt es nur wenige. Selten funktioniert die Kamera. Meist nicht wenn ich es möchte. Einen reproduzierbaren Fehler finde ich nicht. Nehme an, es ist die hohe Luftfeuchtigkeit. Verschleiß- und Ermüdungserscheinungen überall. Am Fahrrad rostet alles was nicht aus Edelstahl oder mit einer Farbschicht bedeckt ist: div. Schrauben, die Nieten am Sattel und manches Werkzeug. Die teure Frontlampe mit aufladbarem Akku spinnt. Mal kann ich sie nicht aus- und mal nicht einschalten. Ein Brillenbügel ist abgebrochen. Habe zum Glück eine zweite mit. Am Computer funktionierte das Mauspad für ein paar Tage sehr eingeschränkt, dann wieder normal. Das Garmin-gps zieht Feuchtigkeit und beschlägt manchmal. Mein Husten wird nicht besser.

Positiv ist, dass ich die zwei Monate in Indien ohne Durchfall überstanden habe. Trotz mancher Gerichte vom Straßenrand und Fruchtsäfte mit unklarer Wasserzugabe. Alleine war ich nur beim Radfahren. In den Unterkünften und bei Stadtgängen hatte ich Andrea’s Gesellschaft. Die gewählte Südindienroute entlang der Backwaters und der Besuch der vielen Tempel war interessant. Ich konnte oft auf Nebenstraßen fahren. Selbst der Verkehr auf den Hauptstraßen hielt sich in Grenzen. Der Monsun hat nicht allzu oft Wassermassen auf mich geschüttet. Und das Wichtigste, die Inder sind freundliche Menschen.

Am 20. November um 1.30 Uhr morgens verlasse ich Indien mit dem Flugzeug Richtung Vietnam.

Die Tempel von Mamallapuram.

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Nov 152014
 

DSC01562559. Reisetag 

16.981 km

 

Die Sonnentage sind vorbei. In der Nacht regnet es in Auroville heftig, am Morgen beim Frühstücken ebenfalls. Trotzdem ist meine Weiterfahrt angesagt. Die Regensachen sind griffbereit, falls ein Schauer zu heftig wird. Meist finde ich aber einen Unterstand, sei es ein Baum, Tempel oder das leere Blechhäuschen einer Polizeischutzkabine am Straßenrand. Trotzdem werde ich nass. Da es warm ist stört es nur wenig. Unangenehmer ist der aufgefrischte Wind. Merkwürdig, fast immer ist er gegen mich gerichtet. An der Westküste blies er aus dem Süden und an der Ostküste vorwiegend vom Norden her.

Entlang des Ostküstenhighways fahre ich Richtung Norden. Es ist eine normale Straße, meist mit einem breiten Seitenstreifen. Dort muss ich etwas weniger auf die verrückten Busfahrer achten, die den Gegenverkehr ignorieren. Kleinere Straßen in Küstennähe gibt es in diesem Abschnitt nicht mehr.

Das Tagesziel ist die Stadt Mamallapuram, einst Seehafen des antiken Pallava-Königreiches im 7. Jahrhundert. Ein granitischer Felsenhügel erhebt sich am Ortsrand. Wunderschöne kleine Tempel und Reliefs wurden in den Stein gemeißelt. Ein riesiger fast runder Stein auf einer schiefen Ebene wird Krishna’s Butterball genannt. Etwas abseits liegen fünf steinerne Tempel, die Rathas. Sie sind jeweils einem Hindugott geweiht und aus dem anstehenden Fels gemeißelt. Zwischen ihnen steht ein großer (steinerner) Elefant und dahinter liegt eine Kuh. Direkt am Meeresufer auf einer kleinen Landzunge ragen zwei Tempel in den Himmel. Alles ist 1300 Jahre alt und gut erhalten.

Kein Wunder also, dass die Anlage und Weltkulturerbe die Touristenströme anzieht. Yoga, Massagen und unzählige große und kleine Steinmetzarbeiten werden in den vielen Läden angeboten. Im Lonely Planet wird der Ort Backpackistan genannt. Es gibt wirklich neben den indischen Touristen viele „Westler“, die im Ort ein paar Tage bleiben. Andrea und ich wohnen in einem schönen Guesthouse direkt am Meer mit Blick vom Balkon auf den Strand.
Es ist unsere letzte gemeinsame Bleibe. Die Zusammenfahrt, sie mit dem Bus, ich mit dem Rad hat funktioniert und die Strecke war geeignet dafür. Sie fährt von hier aus mit dem Bus zurück nach Cochin und fliegt weiter nach Deutschland. Ich radele nach Chennai, meinem Abflugsort nach Vietnam.

Von unserem Balkon aus beobachten wir das Meer und die Küste. Viele kleine Fischerboote liegen am Ufer. Die Fischer scheinen immer ihre Netze in Ordnung zu bringen. Wegen des schlechten Wetters fahren sie die nächsten zwei Nächte bzw. in den ersten Morgenstunden nicht hinaus. Es stürmt und gießt. Dann setzt sich die Sonne wieder durch und auch wir können unser Besichtigungsprogramm starten.

Auroville.

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Nov 112014
 
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Matrimandir im Mittelpunkt von Auroville.

555. Reisetag

16.874 km

 

 

Ein Land, das wieder zum Leben erwacht. Auf einem Wüstenerwartungsland wurden in den letzten 50 Jahren über zwei Millionen Bäume gepflanzt. Eine grüne Landschaft ist entstanden: das Experimentfeld von Auroville.
Auroville ist die Vision einer universellen Stadt, in der Menschen jenseits aller Bekenntnisse, politischer Gesinnung und nationaler Herkunft zusammenleben.

In den 68iger Jahren – in Deutschland eine unruhige Zeit mit vielen Demonstrationen für mehr Gerechtigkeit, weniger Aufrüstung und gegen die Notstandsgesetzgebung – legten hier jugendliche Vertreter aus 124 Ländern und den indischen Bundesstaaten eine Handvoll Heimaterde in eine Urne, um die Menschliche Einheit zu symbolisieren. Die ersten Pioniere siedelten sich an. Heute leben bereits 2100 Menschen hier, davon ca. 50 Prozent Ausländer, verteilt in 100 kleinen Siedlungen auf dem großen Gelände. Viele Projekte wurden ins Leben gerufen. Schulen, Bio-Farmen, Handwerksbetriebe, erneuerbare Energie, Kunsthandwerk und vieles mehr (siehe unter www.auroville.org).

An diesem interessanten Ort weilen Andrea und ich acht Tage. Andrea hat sich tapfer ein Fahrrad geliehen und wir erfahren das weitläufige Gelände. Wegen der schlechten Karte und des Mangels an Wegweiser ist es nicht immer einfach unsere Ziele zu finden. Meist durchfahren wir eine Wald- oder Buschlandschaft mit wenig Bebauung. Auch 50 Jahre nach der Gründung von Auroville denkt man, die Stadt befindet sich erst im Entstehen. Die nicht sehr vielen Gebäude sind im guten Zustand und einem städteplanerischen Konzept der ersten Stunde untergeordnet.
Im Zentrum steht das Matrimandir in einer Parklandschaft, ein kugelförmiger Bau mit einem inneren Raum der Stille, ein Ort, der der Universellen Mutter geweiht ist: Ein Konzept, das der Hindukultur vertraut, für den Westler jedoch schwer verständlich ist.

Wir unterhalten uns in den Werkstätten, der Mensa oder im Kaffee mit einigen Aurovillianern. Für ihre Arbeit erhalten sie einen Einheitslohn von ca. 80 Euro im Monat bei freiem Wohnen, Essen und Gesundheitsvorsorge. Das ist für indische Verhältnisse normal, für Westliche setzt es jedoch einen erheblichen Idealismus voraus. Rentner (sofern sie ausreichende Rente bekommen), haben es einfacher. Sie arbeiten sozusagen als Voluntäre – wie übrigens sehr viele junge Menschen, die hier eine Zeit lang leben. Ihr Lohn ist die sinnvolle Beschäftigung in einer Gemeinschaft. Klingt alles gut, Probleme gibt es aber genügend.
Betriebe können auch privat geführt werden, die Gebäude und das Land gehören der Gemeinschaft und werden von ihr gepachtet. Vom Gewinn muss 1/3 abgeführt werden. Die einfachen Arbeiten werden von angestellten Indern aus den Dörfern durchgeführt. Die Bedingungen sind also doch nicht für alle gleich.

Trotzdem sehe ich mich bereits auch hier arbeiten. Es ist das erste Mal auf meiner Tour, das ich mir vorstellen kann, an diesen Ort für längere Zeit zurückzukommen. Noch möchte ich unterwegs sein – mal sehen, wie es in einem Jahr aussieht.

Wir machen einen Ausflug zu einem nahen Aufforstungsprojekt der Gruppe Sadhana (sadhana-forest.org), in dem nur Voluntäre arbeiten. Sie leben unter einfachsten Bedingungen in selbstgebauten Bambushütten. Alkohol, Zigaretten und sonstige Drogen sind wie überall in Auroville nicht erlaubt.
Eine „Weltwärts“-Freiwillige erklärt uns die täglichen Arbeitsabläufe. In dem einst ariden Gebiet wurden zunächst kleine und große Staubecken gegraben, um das Regenwasser der Monsunzeit am Abfluss zu hindern. Bei genügend Feuchtigkeit haben die gepflanzten Bäume eine gute Überlebensrate. Mit dieser Methode ist bereits der Grundwasserspiegel der Gegend um sechs Meter gestiegen.

Die trocken-gefallenen Brunnen der Menschen, die im Umfeld leben, haben wieder Wasser. Ein bewundernswertes Projekt, mit deutlich sichtbarem Erfolg.

Ruhetage in Puducherry.

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Nov 032014
 
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Uferstraße im französischen Viertel.

547. Reisetag

16.796 km

 

Vor mir liegt eine Deltalandschaft mit Sumpfflächen, Reisfeldern und Mangroven. Immer wieder überquere ich breite Flussläufe. Ich fahre zunächst 40 km auf diversen Kleinststraßen.
Die Kamera startet an diesem Tag überhaupt nicht. Ich vermute, dass sie Hitze nicht mehr verträgt. Am kühleren Vorabend konnte ich noch Fotos machen. Wenn ich mich bei Hitze so anstellen würde wäre ich in den letzten Monaten kaum vorangekommen.

Die Nebenstraße mündet in die Hauptküstenstraße. Ich nähere mich der größeren Stadt Cuddalore. Der Verkehr nimmt deutlich zu. Beim Durchqueren der Stadt merke ich, dass Indien mich aus der Ruhe bringt, mich nervt. Der Lärm, der ungeregelte Verkehr, die Fußgänger und Motorräder, die manchmal mitten auf der Straße stehen bleiben. Die Mopeds, die oft hupend von hinten ankommen und deren Fahrer immer wieder die gleichen Fragen stellen.
Ich freue mich auf einige Tage Pause in Puducherry. Beim Einschecken in der Unterkunft lasse ich zum wiederholten Male die indische Bürokratie über mich ergehen. Ein digitales Foto wird gemacht, zwei Formulare mit umfangreichen Fragen müssen ausgefüllt werden, inkl. Name des Vaters. Und alles wohl nur für das Archiv.

Puducherry stand bis 1954 unter französischer Herrschaft. Das alte französische Viertel zwischen geschäftiger lauter Innenstadt und Meer strömt eine gewisse Ruhe aus. In diesem Viertel landen die meisten Touristen. Es gibt gute Unterkünfte und Restaurants mit „etwas“ internationaler Küche. Wer sich allerdings auf französischen Käse freut, muss mit geschmolzenen Chesterkäse auf einem etwas trockenen Baguette oder in einem Crepe vorlieb nehmen. Trotzdem eine angenehme Abwechslung.

Erstmals treffe ich auf viele Touristen, darunter viele Ashram-Gänger. Der bekannte Sri Aurobindo-Ashram und sein Ableger in Auroville ziehen spirituell Interessierte in Scharen an.
Ich bin in einem Gästehaus des Ashrams – ohne irgendwelche Verpflichtungen – gut untergekommen. Mein Blick geht auf einen schönen Garten, dahinter das Meer. Nachts höre ich das Rauschen des Wellen, kein Gehupe dringt ins Zimmer. Nur morgens das Gekrächze der vielen Krähen.

Fünf Tage bleibe ich in dieser schönen Unterkunft, schlafe viel, lese, schaue einfach vom Balkon aufs Meer, laufe über den Markt der geschäftigen Innenstadt. Bin erstaunt über die Mengen an Blüten und Blumengebinde, die dort angeboten werden. Abends gibt es ein gutes westliches Essen.
Ich bin angenehm faul und finde wieder etwas innere Ruhe. Hoffe diese hält an.